31. Oktober 1874
Seit einigen Wochen hat der Abbruch mehrerer Häuser der Ostseite der alten Judengasse begonnen, es sind deren vorläufig 8 in Angriff genommen worden und heute bereits bis auf den ersten Stock niedergelegt, nicht lange mehr wird es anstehen, so werden auch die übrigen der Zerstörung anheimfallen und mit ihnen das Bild und der Eindruck einer Straße, die mehr als nur irgend eine uns frühere Zustände vor die Augen zu führen geeignet war. Freilich war in den letzten Jahren der Neuzeit vieles abgestreift worden, das ihr den eigentlichen Charakter verliehen hatte, allein ich rede auch nicht davon, sondern von dem lebendigen Gesamteindruck, den ich noch vor 30 Jahren davon empfing, als ich anfing, meine dahin einschlagenden Zeichnungen anzufertigen; und als man Behufs des Neubaus der Synagoge den ersten großen Abbruch in der Straße begann. Nicht leicht wird man mehr malerisches Element auf einer Stelle zusammengedrängt finden, als es hier der Fall gewesen und waren namentlich, was das Innere der Häuser anbelangt, alle Stadien des Schauerlichen und Romantischen in allen Schattierungen vertreten. Dunkler langer Gänge, unheimliches Gewinkel abgeschiedener kleiner Höfe, zweifelhaftes Licht, fabelhafte Treppen und Holzbauten jeder Art begegneten dem Eindringling auf Schritt und Tritt, ganze Gemächer voll Lumpen und Lappen sowie Trümmer alten Hausrathes, verbunden mit den unsäglichsten Gerüchen schlossen sich auf, und wer nun gar noch einen Blick für die Bewohner dieser Räume übrig hatte, würde nicht in Verlegenheit gekommen seyn, Bilder zu entwerfen, die den Schilderungen von Walter Scott und Bulwer [Edward Bulwer-Lytton 1803-1873 S. E.] ebenbürtig hätten an die Seite gestellt werden können. Hier breitete das Laster seine schwarzen Fittige unbehindert aus, und das Elend zog in allen nur erdenklichen Formen vor dem Beschauer vorüber. Hörte ich doch selbst an einem Sonntag Morgen, als ich in einem dunklen engen Höfchen des Hauses 48 mit einer Aufnahme beschäftigt war und unbemerkt unter dem Schutze eines Ueberhangs und halb zerstörten Wetterdaches stand, mehrere verruchte Bösewichter von Raub und Mord verhandeln. Sie befanden sich in einem Zimmer des abgelegenen Hinterhauses im ersten Stock und hatten keine Ahnung davon, daß sie von jemandem