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Inhaltsverzeichnis

Bild von Reiffenstein
Carl Theodor Reiffenstein (1820-1893)
Landschaftsmaler und Frankfurter Bildchronist
Reiffensteins „Sammlung Frankfurter Ansichten“ gehört zum Gründungsbestand des Historischen Museums. Der Künster verkaufte sie 1877 der Stadt. In 2.000 Aquarellen und Zeichnungen sowie auf 2.400 Manuskriptseiten hielt er das alte Frankfurt fest.

Einleitung zu der Sammlung Frankfurter Ansichten sowie zu deren begleitendem Texte

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1865
Einleitung.

Lersner, Batton, Fichard und Kirchner sind längst heimgegangen; Böhmer, der redliche, unvergeßliche Mann ist ihnen vor Kurzem nachgefolgt, nachdem er gleich seinen Vorgängern einen großen Theil seines Lebens der Erforschung der Spezialgeschichte seiner geliebten Vaterstadt gewidmet hatte. Im Rückblick auf die bedeutenden Arbeiten dieser ausgezeichneten Männer liegt für denjenigen, welcher mit geringeren Gaben ausgestattet ist, immer eine Art von Entmuthigung, insofern er es zu unternehmen wagt, seine Schritte in ihre Fußtapfen zu lenken und erfreute sich nicht das Feld der bildlichen Darstellung, kulturgeschichtlicher, namentlich topographisch wichtiger Gegenstände noch einer gewissen Jugend, so würde ich es nimmer gewagt haben, mit meinen Bestrebungen in die Reihen jener Streiter einzutreten, die mit dem flammenden Schwerdte des Geistes die nächtlichen Spuckgestalten der Irrthümer und der Unwissenheit aus dem Eden der Wahrheit scheuchten. Lange habe ich geschwankt, ob meinen unvollkommenen Arbeiten eine Berechtigung zur Theilnahme zuzugestehen sey, allein mein verstorbener Freunde Böhmer zerstreute meine Zweifel, und bestimmte mich, auf dem begonnenen Wege voranzuschreiten. Nach und nach wurde mir selbst klar, welche großen Vorzüge bildliche Darstellungen besitzen und wie sie die vollkommenste Berechtigung in sich tragen, als höchst wichtiges Material selbstständig neben der beschreibenden Geschichte herzugehen, und so kam es, daß ich mit rastlosem Eifer, in diesem noch ziemlich unbebauten Felde, die mühsam erworbenen Körner meines Fleißes ausstreute, damit ihre dereinstigen Früchte einen mit besserer Vorbildung und größeren Kenntnissen ausgestatteten Forscher sich nutzenbringend erweisen möchten. Die deutsche Nation ist ihrer Vergangenheit auf diesem Felde noch Manches schuldig, sorgen wir dafür, daß wenigstens un-
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serer Generation nicht der Vorwurf der Nachläßigkeit gemacht werden kann, wir haben große Zinsen zu bezahlen, deßhalb frisch an‘s Werk.
Obgleich eine eigentliche Einleitung mir nicht gerade als Nothwendigkeit erscheinen will, so halte ich es doch am Platze zur richtigen Würdigung der ganzen Sammlung, soweit dieselbe nämlich bis jetzt gediehen ist, einige erklärende Worte vorauszuschicken, die ich durchaus nur, als von dem Standpunkte des Künstlers ausgehend, betrachtet haben will. Gar manche Blätter leiden an dem Gebrechen der Unvollkommenheit, namentlich was die Ausführung derselben anbelangt; besonders gilt dieß von denen, deren Anfertigung in die Zeit meiner ersten künstlerischen Studien und Ausbildung fällt. Um nun aber alle unnützen gedankenlosen und in den Tag hineingesprochenen Urtheile von vornherein gänzlich abzuschneiden, wollte ich nur bemerken, daß mir die Regeln der Perspective sowohl, als die Technik der Aquarellmalerei hinlänglich bekannt und geläufig sind, um mich vor unwissentlichen Fehlern zu bewahren; wissentliche hingegen finden sich in Menge hier und da eingestreut; theils um Zeit und Arbeit zu ersparen, theils um Dinge in den Bereich der Darstellung mithineinziehen zu können, deren Nichtvorhandensein der Deutlichkeit offenbar schaden würde.
Für die Arbeiten aus meiner Jugendzeit nehme ich die freundliche Nachsicht der Verständigen in Anspruch, und ich selbst muß recht sehr beklagen, daß manche davon so flüchtig und ohne Würdigung der historischen Bedeutung des Gegenstandes gegeben sind. Zur klaren Erkenntniß gekommen, habe ich zwar allerdings nachgeholt was nachzuholen war; manches mußte jedoch in dem alten Zustande verbleiben, weil die dargestellten Gegenstände mittlerweile verschwunden waren. Alle Selbstbelehrung nimmt längere Zeit in An-
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spruch und kostet viele Umwege, sitzt aber auch desto fester nachher, und macht eigensinnig den wohlerworbenen Besitz jedem unbefugten Angreifer streitig. Hätte Jemand vor meiner Zeit mit Geschmack, Auswahl und Ueberlegung dem mühsamen Geschäfte des Sammelns sich unterzogen, was hätte nicht alles gerettet werden können, was jetzt unwiederbringlich verloren ist. Herr Schöff Usener hat in dieser Richtung viel Dankenswerthes geleistet; die Studien und Skizzen von Johann Friederich Morgenstern dem Vater meines lieben Freundes und Collegen sind leider zum größten Theile verloren und abhanden gekommen, aus ihnen wäre noch mehr zu schöpfen gewesen, da er ein Künstler war und mit genauer Kenntniß der Perspective arbeitete. Was historische Treue anbelangt, so ziehe ich als Quelle in der Regel die Arbeit eines einigermaßen mit der Technik der Kunst vertrauten Dilletanten den Arbeiten der Künstler vor, weil Letztere gewöhnlich zu viel ihrer Phantasie folgend, allerhand Dinge, theils mit theils ohne Vernunft und Sachkenntniß hinzuthun oder weglassen, was sie Auffassung nennen. Dieß hat manchmal seine Begründung, in den meisten Fällen aber nicht, bei Dilettanten ist man vor solchen Ausschreitungen sicher, sie geben nur nüchtern das, was sie wirklich vor sich sehen, und ihre Fehler sind leichter in das Richtige zu übersetzen, als die sogenannten Verbesserungen der Künstler. So hart diese Aussprüche auch scheinen mögen, so wird Jeder, der die Sache wirklich kennt, mir dieß bestätigen.
Daß es allerdings nach oben und nach unten hin rühmliche Ausnahmen gibt, will ich hiermit nicht im Geringsten bestritten haben. Morgenstern, Schütz (Christian Georg der ältere) und Radl sind zuverlässige Gewährsmänner, ebenso Koller, dagegen Zehender, Hochecker, Prestel und Andere nur mit großer Vorsicht zu benutzen. Auch Merian ist nicht zuverlässig. trotz seines vortrefflichen Zeichnens und namentlich in der Behandlung der Details kommt
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es ihm auf eine Hand voll mehr oder weniger gar nicht an. Während er oft an ganz kleinen Häusern die Zahl und Stellung der Fenster mit einer überraschenden Genauigkeit angiebt, wie ich oft Gelegenheit hatte, an noch vorhandenen Gebäuden mich zu überzeugen, behandelt er wichtige Gebäude, wie z. B. das Steinerne Haus, den Grimvogel, den Dom u.s.w. nur so obenhin, verwandelt die Spitzbogen in Rundbogen, verändert die Stellung und Zahl der Fenster und ergeht sich in Willkürlichkeiten, daß es wirklich zum Verwundern ist. So hat er z.B. an der Deutschherrnkirche in Sachsenhausen den Anbau vergessen, welcher die Sacristey enthält. Jedenfalls darf man ihm als Quelle nicht unbedingtes Vertrauen schenken. Noch schlimmer sind manche unter den Jetztlebenden, die es häufig unternehmen, Ansichten von Frankfurt, sowie auch das Innere von Straßen und Höfen darzustellen; da dieß aber sehr oft mit einem gänzlichen Mangel an wirklichem Verständniß der architektonischen Construction sowie mir höchst unsicherer Anwendung der Perspective geschieht, so ist diesen Arbeiten, denen manchmal Fleiß und eine gewisse Geschicklichkeit durchaus nicht fehlen, weder ein historischer noch ein Kunstwerth beizulegen.
Als Quelle müssen sie in jeder Weise mit dem größten Verdachte betrachtet werden. Auch den gänzlichen Verlust einiger werthvollen Gebäude muß ich hier beklagen, wohin vor allen Dingen die Abbildung [RS0233] [RS0233a] der Capelle auf den Röderhöfen gehört, die nach einer mir gemachten Aussage Böhmer‘s vor ihrem Abbruch unter der persönlichen Leitung Batton‘s und Fichard‘s von einem Künstler eigends zu dem Zwecke der Aufbewahrung gezeichnet wurde, welche Zeichnung aber leider spurlos verschwunden ist. Ebenso fehlt eine Ansicht des Galgenthors von innen, was um so bedauerlicher ist, als zur Zeit des Abbruchs desselben, schon gute Kräfte dahier vorhanden waren, und es gar leicht hätte gezeichnet werden können. Usener gibt mehrere Skiz-
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zen davon, die während des Abbruchs gemacht sind, allein alle behandeln leider ausschließlich nur die Außenseite dieses schönen und merkwürdigen Bauwerks. Schade ist es, daß nur äußerst selten die Liebhaberei an alter Architektur und das Verständniß derselben bei den Gelehrten mit einer des Zeichnens kundigen Hand zusammengepaart erscheint; es mag dieß wohl auch hauptsächlich der Grund seyn, warum so viele wichtige Dinge, die kulturhistorisch von der größten Bedeutung hätten seyn können, unabgebildet der Zerstörung anheim gefallen sind und nur noch in der Beschreibung existiren. Nun ist es aber eine bekannte Sache, daß die allerbeste Beschreibung, von eines nur halbwege verständlichen Zeichnung bei weitem übertroffen wird, und da leider die Künstler meistens nur auf das Malerische ausgehen, und von der Geschichte der Architektur selten Kenntnisse besitzen, folglich auch selten wissen, worauf es eigentlich ankommt, so finden wir eben nur wenig Befriedigendes aus der Periode, die uns unmittelbar vorausging, und müssen uns, so gut es eben gehen will, mit dem Vorhandenen zu behelfen und zu trösten suchen. Mir selbst ist jenes Licht auch erst sehr spät aufgegangen, und ich hätte viel vorher schon leisten können.
Vor meinen Augen ist Vieles hinweggeschwunden, und ich stand dabei mit schon ziemlich kunstgeübten Händen, allein oben in der Dachstube, von wo der Hauptbefehl zur Thätigkeit ausgehen sollte, waren dazumal die Läden noch nicht geöffnet. Meine ersten Versuche leiden an all den Gebrechen, welche ich an vielen meiner Collegen tadeln muß, es herrscht in der Wiedergabe eine beispiellose Leichtfertigkeit vor, und viele derselben habe ich gänzlich verworfen und meinen Sammlungen gar nicht einverleibt, oder als ich zur Erkenntniß gekommen war, denselben wieder entzogen. Ungefähr um das Jahr 1837 beginnt die Genauigkeit, und erst von da an traue ich meinen eigenen Arbeiten, doch finden sich auch schon früher einige recht zuverlässige Zeichnungen vor. Viele sind allein dem malerischen
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Reize zu Gefallen entstanden, andere wieder dem historischen Werthe zu Liebe, manche zufällig und bei Gelegenheit, sodann wieder andere zur Ergänzung, aber genau sind sie Meisten und können ohne alle Bedenken als Quelle benutzt werden. Bei denjenigen Blättern, die zum Verständniß einer muthmaßlichen Ergänzung bedurften, ist dieß genau angegeben.
Es hat die Sammlung noch eine große Menge störender Lücken aufzuweisen, sie ist großentheils nur in meinen Freistunden zusammengetragen und waren dabei eine Menge von Schwierigkeiten zu überwinden.
Alle Untersuchungen, welche z. B. im Inneren der Häuser und Höfe vorgenommen werden mußten, bedurften in der Regel der Bewilligung der Bewohner, es mußten manche derselben vorher erst gefragt werden, um welche Zeit dieser oder jener Raum besichtigt und gezeichnet werden könne, dann fehlte, wenn man auch die Erlaubniß, welche meistens freundlich und zuvorkommend gewährt wurde, erlangt hatte, die Beleuchtung oder irgend ein wichtiger Schlüssel, kurzum oft schon war ich genöthigt, zwei bis drei, ja sogar viermal und öfter mich an einen Ort zu verfügen, an welchem ich arbeiten wollte, bis es mir gelungen war, meine Absicht zu erreichen, und oft war ich genöthigt, nur um eine mit Zögern und Mißtrauen erhaltene Erlaubniß sogleich bei dem Schopfe zu fassen, Arbeiten unter den allerungünstigsten Umständen zu erledigen.
Auch kamen mitunter einige bewunderungswürdige Züge von Grobheit und Ungefälligkeit zu Tage, und ich habe die Namen derjenigen, welche auf diese Weise in die Geschichte unserer gemeinsamen Vaterstadt sich einzuflechten wußten, bei den betreffenden Häuserbeschreibungen mit aufgenommen. Meistens sind die besten und wichtigsten Sachen von den Kennern wenig oder kaum gekannt, und die Eigenthümer und Besitzer von Häusern, in denen sich solche Dinge befanden, schauten oft mit Verwunderung meinem Treiben und
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Fleiße zu. Es freut mich, sagen zu können, daß in den meisten Fällen mir Freundlichkeit zu Theil wurde.
Oftmals war ich Zeuge, daß Gegenstände von der größten Wichtigkeit, der größten Seltenheit, Schönheit und Reinheit der Form, denen ich natürlicherweise der ebengenannten Eigenschaften wegen, einen großen Werth beilegte, kurz nachdem ich sie gezeichnet oder sogar während des Zeichnens, mit erbarmungsloser Roheit vor meinen Augen zerstört wurden. Oftmals wurde mir Kunde von merkwürdigen Sachen erst dann gebracht, wenn deren Zerstörung bereits begonnen hatte, und ich war genöthigt, über Hals und Kopf zu eilen, um nur das Nöthigste noch gründete Besorgnisse zu erregen. Ich darf mit gutem Gewissen sagen, daß ich schon manchmal dazu beigetragen habe, die Aufmerksamkeit auf Kunstgegenstände des Alterthums rege zu machen und zu steigern, und daß dieser angefachten Gluth manches Gute seine Erhaltung verdankt, ist ebensowenig zu bezweifeln. Im Ganzen könnte darin in Frankfurt hier und da noch etwas mehr geschehen, wenn das materielle Interesse nicht allzusehr diese Bestrebungen verschlänge. Ich will nicht sagen, daß man Alles erhalten solle, weil es alt ist; sondern nur das wirklich Schöne und Belehrende, allein es gehört schon ein hoher Bildungsgrad dazu, die in diesem Sinne geeignete Wahl zu treffen, und häufig ist die Unkenntniß das unheilvolle Schwerdt, welches über dem Leben so vieler dahin einschlagender Dinge, schwebt. In der Regel werden bei vorkommenden Reparaturen alle Anordnungen den Handwerkern und sogar dem Ermessen der Gesellen anheim gestellt, und so kommt es eben häufig vor, daß die Zeugen einer früheren Zeit, der
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zwingenden Macht der Gegenwart unterliegen. Mancher eigenthümliche Charakterzug ward auf diese Weise vor meinen Augen für immer ausgelöscht, ohne daß ich es vorfinden konnte, und manchmal wurde ich ausgelacht, wenn ich meine Stimme erhob oder wurde mit lächelnden Seitenblicken betrachtet, wenn ich es versuchte, einem Handwerker auseinanderzusetzen, daß dasjenige, was es erbarmungslos zerschlug und abbrach, viel mehr werth sey, als das, was er im Begriff sey, dafür an die Stelle zu setzen, ja sogar viel mehr werth, als er in seinem ganzen Leben je machen und verstehen lerne. War ich doch selber Zeuge, wie ein Spengler einen kleinen, wundervoll in Stein gehauenen mittelalterlichen Adler auf einem Wappenschilde am südlichen Eck der Stadtwaage zur Hälfte mit dem Hammer abschlug, um der geringen Mühe überhoben zu sein, den Standkändel an demselben vorbeizuleiten, was noch bis heutzutage ein Schandzeugniß für die mit der Beaufsichtigung der öffentlichen Arbeiten betrauten Angestellten abgiebt.
Ueber solche Dinge muß man sich trösten, denn man richtet gegen die rohe Masse doch nicht viel aus, und derselbe Mann, der Abends hinter dem Schoppen oder im Casino oder in einer diplomatischen Soirée sich vornehm in die Reihen der Gebildeten stellt und mit breiten Worten und Phrasen über Kunst spricht und die Kälte und Empfindungslosigkeit unserer Zeit tadelt, läßt vielleicht am nächsten Morgen das schönste in Stein gemeißelte Wappen in seinem eigenen Hause durchlöchern oder in Stücke schlagen, um einer Gasleitung den Weg zu bahnen oder ein Fenster zu gewinnen. Dieß ist keine leere Anspielung, sondern soll nur darthun, wie viel eitel Geschwätz in der Welt umherläuft und wie in Frankfurt die Kunst als Unkraut behandelt wird.
Manche Blätter der Sammlung scheinen unwichtig und am Ende der Aufbewahrung nicht werth, aber sie dienen zur Vervollständigung des Ganzen, und dem späteren Forscher kann oft der allergeringste Wink, die Erhaltung einer Jahreszahl, eines Namens oder einer Hausmarke von dem allergrößten Werthe sein. Wie oft schon war ich mit Dank gegen frühere Sammler erfüllt, wenn mir durch ihre Sorgfalt und Bemühungen verloren geglaubte Dinge neu zu-
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geführt wurden. Ich will mich reichlich als belohnt erachten, wenn man von mir später dasselbe sagen kann.
Während meines Lebens, das doch im Verhältniß zu der ganzen Geschichte meiner Vaterstadt nur kurz erscheint, sind so viele bedeutende, tief einschneidende Veränderungen vorgekommen, und kommen noch täglich vor, daß das Aussehen einzelner Straßen und Plätze, ja sogar ganzer Stadttheile durchaus nicht wieder zu erkennen ist. Die Generation vor mir sah zum größten Theile die alten Befestigungen noch in ganz erhaltenem Zustande, während ich mir nur deren spärlichen Reste mit deutlichem Bewußtsein erinnern kann. Damals wäre viel zu machen gewesen, und Batton verdient unseren vollsten Dank, daß er uns in seinem hinterlassenen Werke eine so vortreffliche eingehende Schilderung von all diesen nun verschwundenen Dingen erhalten hat. Seine Arbeit zu ergänzen und durch Abbildungen zu erläutern, ist der Hauptzweck meiner Bestrebungen. Natürlich beschäftigt mich das äußere und innere Aussehen der Gebäude am Meisten, und das, was darin vorgegangen, steht mir in zweiter Linie.
Doch unterlasse ich es keineswegs, auch in dieser Beziehung Notizen zu sammeln, welche mir oft ebenso reichlich aus ungeahnten Quellen zufließen, als die anderen spärlich auftreten. Batton geht oft über ein Haus ganz flüchtig weg, nennt kaum den Namen desselben, häufig sogar gibt er nur das Lit. und die Nummer an, während dasselbe augenscheinlich vielleicht von dem höchsten Interesse ist; dagegen erzählt er von anderen lange Geschichten und bringt eine Masse urkundlicher Beweise, wie sie ihm eben gerade aus den Quellen, die ihm zu Gebote gestanden, zugegangen sind. So ergänzt ein Sammler den anderen, und Jeder, der später in diese Reihe eintritt, hat das beruhigende Bewußtsein, daß kein Körnlein seines Fleißes und redlichen Wollens verloren geht.
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Häufig ist nur meinem geübten und scharfen Auge eine Form oder das Vorhandenseyn eines Ornamentes, Inschrift u.s.w. erkennbar. Uneingeweihte hatten es dann hier und da versucht, meine Bestrebungen dahin zu verdächtigen, daß ich meiner Einbildungskraft zu viel nachgegeben. Es sind dieß meistens solche Leute, die zu faul sind, ein Ding selbst genau zu untersuchen und doch gerne mit vornehmer Herablassung prahlende Phrasen darüber verbreiten, wie Alle, deren Wissen nicht auf selbstständiger Forschung beruht; ihnen darf man am wenigsten trauen, denn in der Regel vermögen sie einen Eichbaum von einem Kalbe nicht zu unterscheiden und können sich nur in gestohlenen Kleidern sehen lassen. Es ist mir nicht einmal, sondern oft vorgekommen, daß ich Dinge, die längst in berühmten und verdienstlichen architektonischen Werken als erschöpfend abgehandelt betrachtet wurden, durch die erste genauere Befragung die Hauptsache abgewann, welche bis dahin gefehlt hatte oder übersehen worden war.
Seltener ist mir das Gegentheil vorgekommen, nämlich, daß wir an einem Gebäude, nach einer von mir vorgenommenen Untersuchung, etwas verborgen geblieben wäre. So war ich der Erste, welcher im Jahre 1856 [von anderer Handschrift auf 1848 berichtigt S. E.] die kleinen ausgebüchsten Oeffnungen am Eschenheimerthurm entdeckte, und welche dummen Vermuthungen mir von sogenannten Gelehrten darüber gemacht wurden, will ich hier Gar nicht erwähnen; erst im Laufe des vorigen Jahres Oct. 1864, als ich Herrn von Cohausen von der Sache Mittheilung machte, enthüllte sich deren Bedeutung.
Cohausen nämlich hatte gleich sehr richtig behauptet, daß es Rüstlöcher seyen, was ich ihm Anfangs lebhaft bestritt, wegen des thönernen Futters, das ja bei dem Einführen eines Balkens oder Eisens, denn für Balken wären sie zu enge gewesen, sofort bei der geringsten Belastung zersprungen wäre; da fand sich in den Baurechnungen des [die Hälfte der Zeile ist durchgestrichen, von anderer Handschrift ergänzt: Römers S. E.] ein Posten über so und soviel Krüge von gebranntem Thon, von denen er glaubte, daß diese in die Oeffnungen eingesetzt wären, um so die Rüstlöcher offen und trocken zu erhalten, da man sie betreffenden Falles nur
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herauszuziehen habe und die Balken einzufahren, und er hatte Recht; ich entdeckte eines in der Nähe eines Fensters im zweiten Stockwerk, ließ mich von dem Herrn Stadtbaumeister Henrich, welcher der Untersuchung beiwohnte, nebst einem mitgebrachten Tagelöhner, festhalten, lehnte mich so weit hinaus, um mit der Hand hineingreifen zu können und tastete richtig einen Krug mit enger Oeffnungf, die sich nach hinten zu einer Dicke von ungefähr 4 Zollen erweiterte; darauf versuchte ich, mit einem Stäbchen die Tiefe zu messen und fand, daß sie 6 Zoll betrug. Nun war das Räthsel gelöst, nun wußten es auf einmal Alle, es war nur Schade, daß der Thurm schon vierhundert Jahre auf derselben Stelle stand und keiner der gelehrten Herrn die Löcher nur bemerkt, viel weniger untersucht hatte. Aehnliches begegnete mir mit dem General Krieg von Hochfelden, welcher mir ein Langes und Breites über den Thurm erzählte und mir sagte, daß er eine genaue Beschreibung desselben eben vollendet habe, die demnächst (1850) im Druck erscheinen sollte; im weiteren Verlauf des Gespräches aber ergab sich, daß er noch nicht einmal wußte, daß der Thurm im Innern keine Gewölbe habe, sondern die Stockwerke nur durch flache Balkendecken von einander getrennt seyen, was den gelehrten Herrn sehr in Erstaunen setzte. Er war noch gar nicht einmal darinnen gewesen, wie er mir nachher ehrlich gestand. Auch war seine ganze Kenntniß nur aus einer genauen Zeichnung meines Freundes, des Architekten Soemmerring geschöpft, der mit großer Mühe und großem Fleiß diese schwierige Vermessung unternommen und ausgeführt hatte, um nachher ein schönes Modell des ganzen Thurmes in Gyps danach anzufertigen.
Vor seinen Kenntnissen übrigens habe ich trotzdem eine große Achtung und sage das Alles nur beispielsweise. Seine Arbeit über die Saalhofsbefestigung ist ein ganz vortreffliches Werk, ebenso seine „Geschichte der Militair-Architektur“ wie auch seine übrigen Schriften und Untersuchungen.
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Mit dem Aussehen der Stadt haben sich auch die Sitten und die Lebensweise der Bewohner geändert, und die frühere Einfachheit ist vielfach verschwunden. Hier und da habe ich an betreffender Stelle es versucht, Schilderungen von Zuständen, wie ich sie in meiner ersten Jugend noch erlebt habe, zu geben, und bei einem solchen Bestreben fällt die Verschiedenheit erst recht auf; die genauesten Details finden sich bei der Beschreibung der Häuser in der Graubengasse, in welcher mein elterliches Haus stand, das der Schauplatz meiner ersten Entwicklung war, und deren innere Zustände mir genau bekannt waren.
Bei solchen Vergleichungen mit der Jetztzeit fällt es recht lebhaft in die Augen, daß die Geschichte doch immer innig mit dem Local zusammenhängt, und daß Localbeschreibungen und Studien nach dieser Richtung hin doch von großer Wichtigkeit sind. Da ich eben nur Material sammeln will und meiner Arbeit durchaus nicht dem Stempel der Vollständigkeit aufprägen kann, so werden meine hier und da oft nur in gedrängtester Kürze gegebenen Notizen ihre richtige Würdigung finden. Besonders hervorstehende Charakterzüge kennzeichnen sich von selbst. Vieles was sich in der Sammlung findet, konnte ich natürlich nicht aus eigener Anschauung geben, sondern mußte es von meinen Vorgängern entlehnen; es sind manche dieser eben erwähnten Dinge oft das Werk äußerst mühsamer Uebersetzungen, denn es ist gar keine Kleinigkeit, aus einer nur halb verstandenen Zeichnung den vollständigen, richtigen Sinn nach hundert Jahren wieder herauszulesen. Uebung thut hier viel, und an dieser hat es mir bei meinen Bestrebungen bis jetzt nicht gefehlt.
Leider fällt, wie ich schon bemerkt habe, die Zeit meiner ersten künstlerischen Entwicklung, in welcher ich zum eigentlichen selbstständigen Bewußtseyn gelangte, nicht mit dem Erwachen meines Interesses und Verständnisses für ältere Architektur und Baukunst zusammen, sondern letztere Eigenschaften vermochten erst viel später
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sich durchzuringen, glücklicherweise aber kam diese Vereinigung doch noch vor dem Falle zweier der wichtigsten Bauten in unserer Stadt zu Stande; ich meine die Spitalshalle und den Saalhof. Letzterem namentlich konnte ich so ziemlich zeichnend folgen, und sein Ende gehört schon in die Zeit meiner frisch gewonnenen Erkenntniß, so daß das Interesse, das er mir neben seiner malerischen Bedeutung einflößte, auch zugleich ein Baugeschichtliches wurde, und nur wer die Gebilde der Architektur in diesem Sinne auffaßt, gleichviel ob er Maler oder Architekt sey, wird sich im Stande fühlen, den eigentlichen Eindruck wiederzugeben, den ein altes Gebäude in der Regel auf unser Gemüth hervorzubringen pflegt. Es ist nicht die malerische Schönheit allein, sondern es ist das Stück Menschengeschichte, was uns unbewußt daraus anweht, dessen Flüstern leise in unserer Seele einen Wiederhall findet und gleich den Klängen einer Aeolsharfe den unnennbaren Reiz des Geheimnißvollen hervorzauberten, welcher niemals mit Worten zu erklären ist, und das eigentliche Wesen eines jeden poetischen Eindruckes ausmacht. An solchen Eindrücken waren die alten verlassenen Räume des Saalhofes überreich, und ich habe viel daselbst geholt und gelernt.
Ebenso waren die nächsten Umgebungen der Stadtmauern, sowie diese selbst, soweit ich sie noch in ihren spärlichen Resten gekannt habe, stets geeignet, eine eigenthümliche Stimmung zu erwecken, wie überhaupt viele Orte in unserer Stadt, ehe die Neuzeit mit ihrem Lärm in die fernen und einsamen Winkel eindrang. Jetzt aber, wo die Spekulation ihre Kukukseier in diese Räume gelegt hat, ist Alles vorbei; die stummen Zeugen vergangener Jahrhunderte lichten ihre Reihen von Tag zu Tag, ich glaubte deßhalb daraus die Berechtigung schöpfen zu dürfen, dieselben wenigstens im Bilde zu erhalten.
Das wäre ungefähr, was ich als einleitende Worte vorherschicken zu müssen glaubte, ein Weiteres halte ich für überflüssig; die Zeichnungen tragen meistens ihre Erklärungen in sich selbst, und die betreffenden Textnotizen geben in den einschlägigen Stellen das Fehlende.
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Auch meine Stimme wird dereinst verhallen, aber ich habe die Gewißheit, daß dieß mein Werk mich überdauern wird, auf einen Dank habe ich niemals Ansprüche erhoben, mögen meine Leistungen befruchtend wirken, Andere anzufeuern, das fortzusetzen, was ich frohen Muthes in Verehrung und Liebe für meine Vaterstadt begonnen, das Resultat, wie gering es auch ausfallen möge, kann der Nachwelt nur von Nutzen sein.

Geschrieben am 24ten Juni 1865

Carl Theodor Reiffenstein
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11. Oktober 1880
Ueber den Gebrauch des Buches sind folgende Bemerkungen zu beachten:
Das Wichtigste ist, auf die Angabe der Zeit zu sehen, welche jedem Eintrag vorangestellt ist, denn sehr häufig sind die darin aufgeführten Dinge mittlerweile verändert worden oder ganz verschwunden, sodann sind viele meiner Untersuchungsresultate durch Andere, denen ich sie mitteilte, ausgebeutet und veröffentlicht worden, ohne meinen Namen zu nennen und hätte es alsdann den Anschein, als sey ich der Abschreiber.
Weiter muß, um ein Haus zu finden, immer erst die alte Litera und Nummer beigebracht werden, da die Häuser in den betreffenden Gassen, in welchen sie liegen, eingeordnet sind und zwar die Nummern zu leichterer Auffindung der Reihenfolge nach. Wo die alte Bezeichnung fehlt, treten die neuen Nummern in Gültigkeit, sie sind überall mit aufgeführt. Liegen in ein und derselben Straße mehrere Litera zusammen, wie dieß z.B. in der Fahrgasse der Fall ist, so folgen dieselben dem Alphabet nach, wie auch die Namen der Straßen und aller übrigen vorkommenden Gegenstände der alphabetischen Ordnung unterstellt sind, so daß das Buch an und für sich schon ein Register bildet. Behufs genaueren Nachschlagens ist am Schlusse ein Generalregister beigegeben, das alle Namen und Sachbezeichnungen enthält, die in den einzelnen Abhandlungen vorkommen.
Bei meinen Untersuchungen habe ich größtenteils den Grundriß von Ulrich, welcher im Jahre 1811 erschien, zu Grunde gelegt, er ist ein äußerst gewissenhaftes und zuverlässiges Werk und kann bis auf
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einige kaum nennenswerthe Fehler unbedenklich benutzt werden. Dasselbe gilt für den großen Grundriß von August Ravenstein vom Jahr 1859. Auch ihm ist unbedingt zu vertrauen. Gleicherweise ist der den entsetzlichen Brand von 1719 veranschaulichende Plan von Benjamin Kenkel aus Augsburg für die Untersuchung dieses Stadttheils ein ganz unschätzbares Hülfsmittel, äußerst zuverlässig und dabei nur zu beklagen, daß er nicht weiter ausgedehnt ist, sondern sich nur auf die Brandstelle beschränkt. Er ist meines Wissens nämlich der einzige Plan vor Ulrich, der die Eintheilung der einzelnen Häuser aufweist und für die damalige Zeit mit erschöpfender Genauigkeit behandelt.

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