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Bild von Reiffenstein
Carl Theodor Reiffenstein (1820-1893)
Landschaftsmaler und Frankfurter Bildchronist
Reiffensteins „Sammlung Frankfurter Ansichten“ gehört zum Gründungsbestand des Historischen Museums. Der Künster verkaufte sie 1877 der Stadt. In 2.000 Aquarellen und Zeichnungen sowie auf 2.400 Manuskriptseiten hielt er das alte Frankfurt fest.

Band 10 - Buchstabe S

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Saalgasse
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Saalhof
Saalgasse 31 | Saalgasse 33
I.68
29. Mai 1865
Der alte Saalhof fesselte von jeher meine Aufmerksamkeit und Einbildungskraft in hohem Grade, und meine ersten mit künstlerischem Bewußtsein ausgeführten Darstellungsversuche habe ich an seinen verschiedenen Gebäuden ausgeübt. Immer zog es mich unwiderstehlich durch das Thor in den stillen Hof; und obgleich ich damals (1835-36) kaum wußte, daß es ein historisch so wichtiges Gebäude sey, kehrte ich doch stets dahin zurück.
Damals war es leicht und bequem, in dem Hofe Studien zu machen, indem die weitläuftigen Gebäude beinahe unbewohnt lagen und der größte Theil der unteren Räume als Gewölbe und Waarenlager vermiethet, selten besucht wurde. Hohes Gras wuchs reichlich daselbst, und der Ort war einsam und abgeschlossen, indem das Geräusch des öffentlichen Lebens nicht so leicht hineindrang, überhaupt in der Stadt damals noch lange kein so lebhafter Verkehr herrschte wie heutzutage. Namentlich aber war der sogenannte dicke Thurm und die alte Kaiserkapelle, die ebenfalls als Waarenlager vermiethet war, der stete Gegenstand des Erstaunens und der Untersuchung, und es wurden von mir diese an malerischem Reiz unendlich reichen Gebäude, damals noch unbewußt ihres baugeschichtlichen Werthes, zu wiederholten Malen gezeichnet und gemalt. Wenn ich diese alten Abbildungen ansehe, beschleicht mich ein eignes Gefühl von Wehmuth wie bei dem Anblicke des Bildes ei-
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nes längst heimgegangenen geliebten Todten. Heimgegangen sind sie nun, die alten Bauten, wenigstens der größere und wichtigere Theil derselben und der schöne Nachruf und die vortreffliche Bearbeitung und Darstellung, welche ihrem Andenken mein Freund, der nun ebenfalls verstorbene General Krieg von Hochfelden in dem Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 1. Band, Heft 3 widmete, gibt ein so vollständiges Zeugniß ihres Werthes und ihrer Bedeutung ab, daß es kaum sich verlohnen dürfte, noch etwas Weiteres hinzuzufügen, und dennoch sind gewisse malerische Reize unberührt geblieben, deren nähere Darlegung der Zweck dieser Zeilen ist, welche übrigens nichts weiter sein sollen als erklärende Winke zu den Abbildungen.
Trat man durch das alte Thor in den Hof, so fand man sich sogleich von einer eigenthümlichen Stimmung angeweht, hervorgerufen durch die Einsamkeit, die daselbst herrschte und durch den Anblick der alten Gebäude, von denen er eingeschlossen war, und obwohl die meisten derselben dem Jahr 1604 und sogar der Hauptbau nach dem Main zu, mit seinem kleinen Höfchen noch einer späteren Periode, nämlich dem Jahre1717 ihre Entstehung verdankten, so lag doch ein gewisser Zauber der Unberührtheit über ihnen, der allerdings seinen Hauptgrund in dem etwas stark vernachlässigten Zustande derselben finden mochte.
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Die Fenster mit den runden Scheiben waren meistens erblindet, auch fehlten der Scheiben manche, und an Spinnweben war kein Mangel. Der jetzt noch stehende Vorbau mit der Thorhalle, welcher neueren Ursprungs ist, war das einzige, was auf eine störende Weise an die Neuzeit erinnerte, schon durch seinen hellen reinlichen Anstrich, und die stets blank gescheuerten Messingknöpfe an der Thüre und dem Klingelzug. Er führt zu dem modernen bewohnten Theile. Wenden wir uns deßhalb von ihm ab, so gewahren wir, durch die Halle hindurch sehend, gleich den alten Ziehbrunnen mit dem verzierten Hakensteine und der Eisenrolle daran. Er stand in der Ecke, und der ganze Bau, dem er angehörte, nebst dem anstoßenden mit den alten Fenstern und Thüren und dem mit Schiefersteinen beschlagenen ersten Stock war höchst malerisch. Es mußte im Sommer sein, so etwa gegen 4 Uhr Nachmittags, alsdann war der Hof ziemlich im Schatten, die Sonne berührte nur noch einen kleinen Theil des Pflasters vor dem dicken Thurm. Dieses sonnenbeschienene Plätzchen wurde immer kleiner, bis endlich der Schatten anfing, an der Wand des Thurmes hinaufzusteigen, allmälig hüllte sich nun der untere Theil der Gebäude in Dunkelheit, und nur oben das Dach und obere Stockwerk des Thurmes prangten und glühten in dem Lichte der sinkenden Sonne. Das war der Moment,
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in welchem jede Erinnerung an die Gegenwart erlosch, und in dem Zauberlichte stiegen die ehemaligen Bewohner, die deutschen Kaiser, vor uns herauf, die längst versunken sind, und deren Glanz erblichen ist, wie das Tagesgestirn jetzt ebenfalls versinkt. -
Der dicke Thurm war ein merkwürdiges Gebäude, an dem die Baukunst beinahe eines jeden Jahrhunderts ihreSpuren zurückgelassen hatte. Alte Bauten nehmen leicht das Aussehen der Unberührtheit wieder an, sobald sie nur einige Jahrzehnte verlassen sind. Alle Entweihungen erlöschen meist mit der lebenden Generation; Wind und Wetter behaupten bei einiger Vernachlässigung sogleich ihr Recht, und man gibt sich gar leicht dem Gefühle hin, als sey zwischen der Entstehungsperiode und der Gegenwart nur eben erst ein paar Tage verschwunden. Und doch, was hat ein solcher Bau Alles erlebt und erleben müssen. Ich nenne nur den dreißigjährigen Krieg und den letzten Krieg gegen die Franzosen im Anfang dieses Jahrhunderts. Die furchtbar dicken Mauern waren theilweise gebrochen, namentlich in den oberen Stockwerke[n], die im 14ten Jahrhundert aufgeführt wurden, doch war im Innern das Mauerwerk vortrefflich erhalten, und an dem im Erdgeschoß liegenden, an die Kapelle stoßenden Gewölbe keine Spur von Zerstörung zu bemerken.
Die Fenster mit ihren tiefen Blenden in den dicken Mauern ließen nur spärlich Licht ein, und waren auch theilweise mit
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mancherlei seltsamem Geräthe verstellt. Aber die Kapelle: Welch ein Schauer durchrieselte mich, als ich sie zum erstenmale betrat, die ich lange gekannt vorher aus den Erzählungen und Zeichnungen meines verehrten Freundes und Lehrers Hessemer. Der Eindruck war nicht zu beschreiben, und ich werde mich wohl hüten, mit Worten es zu thun; es ist unmöglich. Es war ein trüber Regentag und die Beleuchtung durch das kleine Fensterchen aus dem engen Höfchen sehr schwach. Kaum konnte man die Meißelarbeit an den Capitelen erkennen, und erst nachdem sich das Auge an die herrschende Dunkelheit gewöhnt hatte, war man im Stande, die einzelnen Dinge darin genauer zu unterscheiden. Es herrschte eine Todtenstille darin, und ein eigenthümlicher Modergeruch trug nicht wenig dazu bei, den Eindruck zu verstärken. Der Boden, auf dem wir stehen, ist karolingisch im Sinne des Wortes, denn der halbrunde Thurm und das Stück Ringmauer sind im Unterbau die einzigen und höchst seltenen Ueberreste karolingischer Befestigung. Obgleich Krieg v. Hochfelden dieß zur Evidenz nachweist, so habe ich das damals im Jahre 1836, also 6 Jahre früher doch auch schon gewußt, woher weiß ich allerdings nicht mehr, allein es mußte in der Luft geschwebt haben, denn wir Architektenschüler betrachteten es als eine ausgemachte Sache, die sich traditionell von einem Semester in das andere auf die Neueintretenden fortpflanzte. Ja, wir waren
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sogar im Besitze von Gypsabgüssen der vorzüglicheren Säulencapitelen dieses alten Baues, und lange Zeit war ich in dem Irrthum geblieben, es seyen diese Ornamente der Ausdruck der karolingischen Periode, während sie der Hohenstaufen‘schen Zeit angehören. Erst einige Jahre später, als Kallenbach mit seiner vortrefflichen Modellsammlung hierherkam, entschwand mir durch seine Belehrung dieser unbewußt eingeschlichene Irrthum (1842).
Am malerischsten und verlassensten aber zeigte sich die kleine Capelle von dem kleinen Höfchen aus, das auf der Südseite vor ihr lag; es war dieß ein gar heimliches stilles Plätzchen mit altem Pflaster und stark mit Gras bewachsen durch die von allen Seiten hineingeleiteten Dachtraufen. Hier konnte man sich so recht in die alteZeit versetzt glauben und wurde durch nichts in diesem Eindruck gestört.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Capelle im Jahre 1208 erbaut, und zwar aus den Ueberresten eines älteren anderen Baues, wie Krieg v. Hochfelden vortrefflich und klar darthut. Der obere Aufbau aber mit der Säulenstellung und dem gekuppelten Fenster gehört wahrscheinlich in das 15. Jahrhundert.
Der Unterbau des viereckigten Thurmes stammt aus dem Ende des 10ten oder Anfang des 11ten, das oberste Stockwerk aus dem Ende des 14. Jahrhunderts.
Die Gebäude nach dem Main hin gehören ihrem jetzigen Bestande nach (1836) dem Jahre 1604 an, denn auf dem Plane von Merian
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sind sie bereits ganz in der Form vorhanden, wie sie eben dastehen. In ihnen findet sich ein höchst seltsames Gewinkel von Gängen, Stuben und Treppchen und ihr unterer Theil, dessen äußere nach dem Maine zu gerichtete Wand die alte Stadtmauer ist, zeigt im Erdgeschoß noch ganz deutlich von innen die zugemauerten Schlitze und Zinnen, die allerdings auch von außen sehr sichtbar sind. In dem Theil des Hofes, welcher rechts vom Eingang nach dem Fahrthor hinzieht und ebenfalls von Gebäuden des Jahres 1604 eingeschlossen wird, finden sich weniger bemerkenswerthe Dinge, doch ist derselbe ebenfalls malerisch genug wie die Abb. s.d. bezeugt. Von ihm aus gelangt man neben einem Brunnen mit schönen Verzierungen in Stein gehauen, in ein kleines Höfchen. Ueberall liegt heute noch uraltes Pflaster, zum Theil sogar noch rothe Sandsteine, dazwischen wuchs reichliches Gras und verlieh dem Ganzen einen höchst malerischen und poetischen Reiz, der nunmehr in unsern Tagen zum Theil verschwunden ist. Die Nachricht, der Saalhof wird abgebrochen, traf uns Alle wie ein Donnerschlag und brachte unter uns damals noch ganz jungen Leuten eine merkwürdige Aufregung hervor. Wir hatten uns theilweise an den Studien und den damit verbundenen Eindrücken großgezogen und sollten das nun Alles mit einemmal vor unseren Augen fallen sehen. Alles lief hin und zeichnete und maß. Wo die Sachen alle hingekommen, weiß ich nicht. Was ich damals rettete, befindet sich in meiner Sammlung. Einzelne Stellen existiren noch, allein die Hauptgebäude fielen. Nur die Kapelle blieb
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stehen, wurde aber auch in ihrem Aeußeren ziemlich modernisirt. Im Jahre 1842 im Frühling begann der Abbruch der oben erwähnten Gebäude und wurde ein neues Haus an deren Stelle gesetzt, die Ecken des viereckigten Thurmes an der nördlichen Seite desselben sowie diese ganze Seite blieben mit der östlichen Wand, an welche die Capelle angelehnt ist, stehen, so daß noch heute der Umfang, den das Gebäude einnahm, genau zu sehen ist. Die nach dem Maine zu gelegenen, auf die alte Stadtmauer aufgesetzten Gebäude aber wurden nebst dieser bis auf den Grund abgebrochen. Das Thor, welches den Eingang in den Hof bildet, war früher überdacht, neben ihm befindet sich eine Cisterne für Regenwasser. Die mehrfach erwähnten, ebenfalls im Jahr 1604 erbauten, nach der Saalgasse liegenden Häuser haben durch die Veränderung ihrer Fensterstellung viel von ihrem ursprünglichen Aussehen eingebüßt. Die geschnitzten und gemalten Holzgiebel rettete ich glücklicherweise im Bilde indem am 3. Mai 1863 behufs einer Reparatur derselben der alte Kalkputz herunter geschlagen wurde, wodurch die Ornamente, welche ich schon lange daselbst vermuthet hatte, zum Vorschein kamen. Nun aber sind sie auch für immer verloren, indem man die Ausbessereung, wie dieß hier in Frankfurt gewöhnlich der Fall zu seyn pflegt, den Handwerkern überließ, welche ohne alles Verständniß der Formen die Ausladungen in einer Weise veränderten und dann alles, mit einem jede Spur von früher verhüllenden Kalkputz überkleisterten,
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daß selbst das geübteste Auge nicht mehr im Stande ist, den früheren Werth darin wiederzufinden. Man sehe meine genau nach der Natur gefertigte Abbildung [R0669] und vergleiche sie mit dem jetzigen Bestand. -
Nach gleichzeitigen während des Abbruchs gemachten Notizen und Beobachtungen.

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